Sein Leben endete im Holocaust

Ein unbekannter Jurist? Jakob Neubauer an der Universität Leipzig

Von Gerald Wiemers

Jakob Neubauer wurde als Sohn des Diamantenhändlers Hermann Neubauer am 29.Jan.1895 in Leipzig geboren, und anstelle der sächsischen Staatsangehörigkeit ist die türkische eingetragen.  Die Familie stammte aus Iaşi (Jassi), dem heutigen Rumänien. Mit dem Zerfall der Donaumonarchie seit 1866, eingeleitet durch die Niederlage gegen Preußen in der Schlacht bei Königgrätz, kam es auf dem Balkan zu strukturellen Veränderungen, insbesondere zur Stärkung der nationalen Kräfte und zur Wiederherstellung des Königreichs Ungarn.  Die Stadt Iaşi im Osten Rumäniens gelegen, gehörte zu den interessantesten und künstlerisch vielfältigsten Knotenpunkten an der Moldau. Hier lebten Juden, Russen, Rumänen, Ungarn, Türken und viele andere Völkerschaften zusammen. Iaşi ist aber auch geprägt durch zahlreiche Judenpogrome. Von einst über 100 Synagogen ist lediglich eine übrig geblieben.

Die Familie Neubauer konnte die Staatsbürgerschaft auswählen und nahm die türkische an, weil dort „weniger Antisemitismus herrschte als in Ungarn oder Rumänien.“ Jakobs Vater Hermann Neubauer emigrierte nach Deutschland, heiratete in Leipzig, begründete einen Diamantenhandel und wurde Mitglied der Diamanten-Börse in Antwerpen. Nach Antwerpen emigrierte er 1933, um 1937 nach Palästina zu ziehen, wo er ein Jahr später starb.  Jakob Neubauer (ist) war türkischer Staatsangehöriger mosaischen Glaubens, geb. 29. Januar 1895, eingeschrieben an der Universität Leipzig am 16. April 1913 für Jura (bis März 1916, 1916-1918) und dann weiter für Philosophie ab 15.April 1918 bis 15.Nov.1920.  

Neubauer nahm unmittelbar nach dem Abitur am 16. Aprtil 1913 das Jurastudium an der Universität Leipzig auf. Er (hat) hörte bei berühmten akademischen Lehrern (gehört): Karl Bücher (1847-1930) Adolf Wach (1843-1926), Ludwig Mitteis (1859-1921), Heinrich Siber (1870-1951), Rudolf Sohm (1841-1917), Paul Koschaker (1879-1951), Wilhelm Wundt (1832-1920), Franz Eulenburg (1867-1943) – (er) letzterer ist Weihnachten 1943 von der Gestapo fast tot geschlagen worden und bald darauf im Jüdischen Krankenhaus in Berlin-Alexanderplatz gestorben .

Bereits im 4. Semester belegte Neubauer bei dem Assyrologen Heinrich Zimmern (1862-1931) den Kurs „Syrische Lektüre“. Es folgten dann ab dem Sommersemester 1916, mitten im 1.Weltkrieg, keilschriftliche Übungen, Assyrisch-Babylonisch, Arabische Anfangsgründe, Akkadisch, und ab dem Wintersemester 1917/18 Hebräisch, „Erklärung des Buches Hiob“. Bei Eduard Spranger (1882-1963) hörte er die Geschichte der Philosophie und am Ende seiner Studien, im Sommersemester 1920, eine „Einführung in den Koran“. Im Wintersemester 1918/19 belegte er bei Max Brahn (1873-1944), dem Assistenten von Wilhelm Wundt, „Griechische Philosophie“. Die zweite Einschreibung für Neubauer erfolgte bereits am 15. April 1918 für Philosophie. Dazwischen bzw. unmittelbar danach (liegt) lag die Promotion zum Dr. iur. am 29. Juli 1918 mit der Arbeit "Beiträge zur Geschichte des biblisch-talmudischen Eheschließungsrechts". Er (hat) schloss sie mit magna cum laude ab (geschlossen).  Sein Doktorvater war Paul Koschaker.  

Schon bald nach seinen Studien in Leipzig zog die Familie nach Würzburg, und Jakob Neubauer nahm 1926 eine Stelle als Lehrer am Seminar der Jüdischen Gemeinde, der seit 1927 einzigen Israelitischen Lehrerbildungsanstalt (ILBA) in Deutschland, an. Zuvor entschied er sich aber dafür, „zunächst sein halachisches Wissen“  zu erweitern. Als sein Vater ein Landgut im bayerischen Hermannsberg bei Regensburg erwarb, zog er sich dorthin zurück. Schon hier bildete sich ein Kreis junger Intellektueller um den Rabbiner. In Würzburg wurde sein Haus in der Ebrachergasse 4 „zu einem Zentrum geistigen jüdischen Lebens: ILBA-Schüler, Universitätsstudenten, Mitglieder des orthodoxen Jugendbundes Esra und der gesetzestreuen Studentengruppe Bund Jüdischer Akademiker scharten sich um ihn.“  

Zu Beginn des NS-Regimes im März 1933 flüchtete die Familie Neubauer nach Amsterdam. Dort arbeitete Jakob Neubauer als Dozent für Talmud am Rabbinerseminar. Die türkische Staatsangehörigkeit hat Jakob Neubauer nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht zumindest kurze Zeit vor der Verhaftung in den Niederlanden bewahrt. Alle persönlichen Schriften, darunter die Leipziger Doktorurkunde, wurden später beschlagnahmt. 1943 wurden Jakob Neubauer, seine Frau und sein jüngster Sohn Joshua von der Gestapo verhaftet und in das KZ Bergen-Belsen verschleppt. Dort verhungerten Joshua am 3. September 1944 und sein Vater Jakob Neubauer am 22. März 1945 in dem Lager, dass unmittelbar vor der Befreiung durch die Engländer stand.  

Jakob Neubauer war ein hochgelehrter, pädagogisch versierter und sehr feinsinniger Mann, geprägt von ostjüdischer Frömmigkeit. Sein Leben endete im Holocaust. Es ausführlich nachzuzeichnen ist Pflicht der Nachgeborenen. Dann kann ein weiterer Baustein zur jüdischen Geschichte hinzugefügt werden.

Prof. Dr. Gerald Wiemers ist Historiker und Archivwissenschaftler. Seine Spezialgebiete sind Jugendwiderstand unter der SED-Diktatur, studentischer Widerstand sowie Wirken und Verfolgung jüdischer Wissenschaftler an der Universität Leipzig.

Erschienen in: FREIHEIT UND RECHT2008 / 1+2

 

 

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