Europas Demokratie und ihre Feinde

Extremistische Parteien in den EU-Staaten – Ein Überblick

von Tom Thieme

 

Zwanzig Jahre nach der revolutionären Überwindung des „realexistierenden Sozialismus“ hat sich die Demokratie in Europa – von wenigen autoritären (Weißrussland) und semidemokratischen (Russland, Ukraine) Ausnahmen im ehemaligen Sowjetreich abgesehen – weitgehend durchgesetzt. Dominierten die Schrecken von Nationalsozialismus und Kommunismus das „kurze“ 20. Jahrhundert, leben heute so viele Bewohner des alten Kontinents in Freiheit und Sicherheit wie noch nie zuvor in seiner Geschichte. Eigen- und fremdbestimmte Diktaturen wandelten sich zu selbstbewussten Demokratien, aus historischer Feindschaft wuchs freundschaftliche Partnerschaft, trat an die Stelle von Einparteienherrschaft gesellschaftlicher Pluralismus, ersetzte Rechtssicherheit staatliche Repression. Aus historischer Perspektive ist die Geschichte der mittlerweile 27 Staaten umfassenden Europäischen Union somit eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Doch die Befriedung und Demokratisierung im „alten“ wie im „neuen“ Europa führten nicht überall zur Akzeptanz von Pluralismus und Liberalismus, zusätzlich getrübt von den Folgen der anhaltenden weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Zahl und Vielfalt der Feinde der Demokratie scheint mit Blick auf die verschiedenen Extremismusvarianten eher zu- als abgenommen zu haben. Neben „klassischen“ Rechts- und Linksextremismen existieren religiös-fundamentalistische Strömungen und ethno-regionalistische Kräfte; dazu treten Mischformen, einerseits zwischen den unterschiedlichen Antisystemkräften, andererseits in einer Art Grauzonenbereich zwischen Demokratie und Extremismus. Ein Vergleich der verschiedenen Formen, Ausprägungen und Potenziale extremistischer Parteien in 24 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist Gegenstand dieses Beitrags.[1]

 

Theoretische Grundlagen

Einen Überblick über extremistische Parteien in Europa zu geben, ist aus mehreren Gründen problematisch und kann an dieser Stelle nur stark verkürzt erfolgen. Zum einen liegt das an der Vielgestaltigkeit extremistischer Phänomene. Sie unterscheiden sich in ihren ideologischen Ausrichtungen („brauner“, „roter“ und „grüner“ Extremismus), in ihren Organisationsformen (Kader- und Sammlungsparteien), in ihrem Aktionismus (diskursorientiert oder gewaltbereit) und in ihrem Intensitätsgrad (harte und weiche Extremismusformen). Zum anderen wird der internationale bzw. europäische Vergleich dadurch erschwert, dass eine allgemein gültige Definition für Extremismus, die in allen EU-Staaten gleichermaßen zur Identifikation und Abwehr extremistischer Kräfte Anwendung finden müsste, fehlt. Die jeweils national festgelegten Kriterien, was überhaupt als extremistisch zu gelten hat, variieren stark. Nicht überall existiert ein antiextremistischer Konsens. Einige Länder „kennen“ nur Rechtsextremismus (vor allem in Südeuropa), andere sind empfindlicher gegenüber dem Linksextremismus (aufgrund der realexistierenden kommunistischen Diktaturen eher im östlichen Europa). Organisationen, die in manchen Staaten wegen ihres Extremismus verboten würden, gelangen anderswo in Regierungsverantwortung. Die jeweils nationalen Unterschiede zwischen Verfassungstheorie und -wirklichkeit im Umgang mit antidemokratischen Bestrebungen verstärken die Schwierigkeiten einer vergleichenden Analyse.

Nichtsdestotrotz: Elementar für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den vielgestaltigen Phänomen des politischen Extremismus ist der fundamentale Gegensatz von demokratisch und extremistisch. Politischer Extremismus wird allgemein als Gegenpol zum demokratischen Verfassungsstaat verstanden, der diesen ablehnt und beseitigen will. Es handelt sich damit um eine „Negativdefinition“.[2] Da die Doktrinen politischer Extremisten in ihrer Ablehnung zum demokratischen Verfassungsstaat wesentliche Gemeinsamkeiten aufweisen, gibt es zugleich ein entsprechend positives Begriffsverständnis: Fanatismus, Aktionismus, Dogmatismus, Verschwörungstheorien und Freund-Feind-Stereotype sind wesentliche Strukturelemente aller Extremismusvarianten. Daraus leiten extremistische Kräfte auf organisatorisch-struktureller Ebene für sich Notwendigkeiten z. B. exklusiver Gestaltungsansprüche, starker und starrer Hierarchien, charismatischer Führung, autoritärer Unterwerfung und rechtlicher Privilegien ab. Extremisten fordern den Alleinvertretungsanspruch als politische Kraft und reklamieren für ihre Doktrin die einzig politisch-historische Wahrheit, woraus sich Intoleranz und Feindschaft gegenüber Andersdenkenden ergibt.

Extremisten streben nach autoritärer Herrschaft. Nicht immer ist ihr Ziel – die Errichtung einer Diktatur – offensichtlich. Abgrenzungsprobleme ergeben sich für die Theorie im Allgemeinen wie für den internationalen Vergleich im Besonderen. Zum einen verschleiern manche Extremisten ihre Absichten – sei es aus Furcht vor staatlichen Restriktionen, sei es aus Pragmatismus, um Anhänger zu gewinnen. Die Legalitätstaktik darf nicht über das Wesen solcher Formationen hinwegtäuschen. Zum anderen gibt es Grenzfälle bei der Zuordnung als demokratisch oder extremistisch. Nicht immer muss sich Extremismus gegen die gesamte Demokratie wenden, sondern kann sich nur gegen bestimmte Elemente des demokratischen Verfassungsstaats richten. Nicht alle Anhänger antidemokratischer Parteien müssen Extremisten sein. Und auch in demokratischen Vereinigungen kann es extremistische Einflüsse geben. Der häufig missverständlich verwendete Terminus des Populismus – sozusagen als Extremismus-light-Variante – schafft in diesem Zusammenhang mehr Verwirrung als Klarheit. Die Verneinung der Demokratie steht hier nicht im Vordergrund – es existieren demokratische wie extremistische Populismen. Eine Klassifizierung extremistischer Phänomene macht daher nur aus immanenter Perspektive Sinn. Es gilt, eindeutig zu klären, ob eine Organisation demokratisch oder extremistisch verfasst ist.

 

Wahlentwicklung extremistischer Parteien seit 1990

Die Wahlerfolge extremistischer Parteien in den EU-Staaten seit 1990 zeichnen ein uneinheitliches Bild. Das gilt für Rechts- wie Linksaußenkräfte. Rechtsextreme Parteien existieren zwar in allen Ländern, doch nur in einem Drittel waren sie in den letzten 20 Jahren konstant bedeutsam. In ebenso vielen Staaten zogen sie vereinzelt oder einmalig in Parlamente ein, und in acht Demokratien konnten rechtsextremistische Parteien seit 1990 keinerlei Mandate auf nationaler Ebene gewinnen (Tabelle 1). Vor allem die 14 „alten“ EU-Staaten unterscheiden sich stark im Ausmaß rechtsextremer Wahlerfolge. Mit Ausnahme Schwedens und Griechenlands handelt es sich entweder um Länder mit konstant etablierten (Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien und Österreich) oder dauerhaft erfolglosen rechtsextremen Parteien (Deutschland, Finnland, Griechenland, Großbritannien, Irland, Niederlande, Portugal, Spanien). In den meisten osteuropäischen Staaten verbuchten Rechtsextremisten dagegen nur vereinzelte Erfolge. Hier lässt sich – abgesehen von Ungarn (die militante Partei Jobbik gewann 2010 im ersten Wahlgang 16,7 Prozent!) und Bulgarien, wo die rechtsextreme Partei ATAKA seit 2005 im Parlament vertreten ist – eine klare Tendenz erkennen: In Estland, Lettland und Tschechien verschwanden Rechtsaußenparteien bis Ende der 1990er Jahre aus den nationalen Parlamenten, in Polen und Rumänien bei den letzten Wahlen. Nur in der Slowakei und in Slowenien sind die jeweiligen rechtsextremistischen Nationalparteien (beide: SNS) dauerhaft auf nationaler Ebene parlamentarisch präsent. Der parteipolitische Rechtsextremismus ist damit momentan in den etablierten Demokratien Westeuropas stärker vertreten als in den postautoritären Systemen Osteuropas.

Die Wahlerfolge bzw. Misserfolge linksextremistischer Parteien in Europa zeigen eine ähnlich gemischte Bilanz wie die des parteipolitischen Rechtsextremismus. In zwölf der 24 untersuchten Staaten blieb der Linksextremismus seit 1990 bedeutungslos. In der anderen Hälfte der Länder gelang es Linksaußenparteien seit 1990, in die nationalen Parlamente einzuziehen – davon in sieben Staaten dauerhaft. In den früheren Ostblockstaaten sind kommunistische Parteien heute größtenteils diskreditiert. Lediglich in Tschechien und im Sonderfall der für lange Zeit nur in Ostdeutschland erfolgreichen PDS (jetzt Die Linke) sind linksextremistische Parteien momentan auf nationaler Ebene parlamentarisch vertreten. Innerhalb Westeuropas lässt sich dagegen ein deutliches Nord-Süd- bzw. Süd-Nord-Gefälle des Linksextremismus feststellen. Mit Ausnahme Schwedens und gelegentlicher Erfolge einzelner Abgeordneter in Irland (aufgrund der starken Personalisierung des Wahlsystems) etablierten sich linksextremistische Parteien bis heute am stärksten im Mittelmeerraum und in Portugal. Hier besitzen die kommunistischen Parteien wegen ihres Widerstandes gegen den Nationalsozialismus (Frankreich, Italien) und gegen die rechtsautoritären Diktaturen (Griechenland, Portugal, Spanien) ein hohes Maß an politischer Legitimität. Doch durch den Zusammenbruch des Realsozialismus gerieten die meisten Linksaußenparteien in eine tiefe Identitätskrise, konnten nicht annähernd an ihre Wahlerfolge vor 1990 anknüpfen und reagierten unterschiedlich auf den Niedergang der kommunistischen Regime: Einige wandelten sich zu demokratisch linken Parteien (Schweden, Polen, Ungarn), einige beendeten ihre unabhängige Existenz und gingen in neuen Allianzen auf, die demokratischer (Italien, Niederlande) und extremistischer (Deutschland, Spanien) Natur sein können. Nur wenige linksextremistische Parteien stehen in ungebrochener Kontinuität zum Kommunismus.

Weniger deutlich sind die Unterschiede zwischen Ost und West bei der Frage nach antidemokratischen Regierungsbeteiligungen. Nirgendwo in Europa stellte und stellt eine extremistische Partei die größte Parlamentsfraktion oder den Regierungschef. In fünf Ländern gelangten seit 1990 Rechtsaußenparteien in die Regierungsverantwortung – in Rumänien allerdings nur vor dem EU-Beitritt des Landes. In drei Staaten wurden mehrfach nationale Regierungen unter Einschluss rechtsextremer Parteien gebildet: in Italien in den drei Kabinetten von Silvio Berlusconi (1994, 2001-2005 und seit 2008), in Österreich (2000-2003 und 2003-2007) und in der Slowakei (1992-1998 und 2006-2010). In Polen und Rumänien kam es seit 1990 zu einmaligen Koalitionen unter Einschluss rechtsextremer Parteien. Beide Regierungsbündnisse überdauerten nicht die vollen Legislaturperioden. Polens (2006-2007) und Rumäniens (1992-1995) unheilige Allianzen zerbrachen nach etwa der Hälfte ihrer Amtszeiten an der Regierungsunfähigkeit der rechtsextremen Juniorpartner. In Dänemark (seit 2001) und Bulgarien (seit 2009) unterstützen solche Parteien Minderheitsregierungen. Die meisten Bündnisse mit rechten Flügelparteien erwiesen sich als instabil. Alle Koalitionen mit Rechtsaußenparteien zerbrachen vor dem Ende der offiziellen Legislaturen oder es gab umfangreiche Kabinettsumbildungen.

Linksextreme Parteien schafften es in fünf Ländern, Regierungsämter einzunehmen. In Westeuropa konnten nach 1990 nur die kommunistischen Parteien in Frankreich und in Italien Regierungsverantwortung erlangen. Das geschah bei den Nachfolgeorganisationen der Italienischen Kommunistische Partei (PCI) mehrmals durch die Beteiligung an breiten Bündnissen der politischen Linken zur Verhinderung konservativer Regierungen (1996-2001 und 2006-2008). In Frankreich kandidieren wegen der Mehrheitswahl Kommunisten traditionell in Allianz mit der Sozialistischen Partei (PS) und gelangen so – wie zuletzt unter Premier Lionel Jospin (1997-2002) – in Regierungsämter. Die drei Koalitionen unter Einschluss linksextremistischer Parteien in Osteuropa blieben einmalige Konstellationen. In Polen (2006-2007) und Rumänien (1992-1994) zerbrachen die fragilen Bündnisse, an denen links- und rechtsextremistische Kräfte beteiligt waren, vor dem Ende der Legislaturperioden an der Regierungsunfähigkeit ihrer Partner. In Schweden und Spanien kam es zur Bildung von sozialdemokratisch bzw. sozialistisch geführten Minderheitsregierungen. Die erfolgreichen Linksaußenparteien in Deutschland, Griechenland und Tschechien wurden (bisher) nicht an den nationalen Regierungen beteiligt.

Sieben rechtsextreme Parteien erzielten in den vergangen 20 Jahren konstante Wahlergebnisse – der Vlaams Belang in Belgien, Dänemarks Fortschritts- bzw. Volkspartei (FRP/DF), der französische Front National (FN), die italienische Lega Nord (LN), Österreichs Freiheitliche (FPÖ) sowie die slowakische und die slowenische Nationalpartei (SNS). Sechs Parteien, die in den 1990er Jahren vorübergehende Wahlerfolge feierten, existieren dagegen heute nicht mehr. Die Gründe hierfür waren unterschiedlich: Tschechiens Republikaner und die lettische Volksbewegung (TKL) zerfielen nach internen Querelen; ihre Nachfolgeparteien blieben bedeutungslos. Im Fall der italienischen MSI kam es mit der Umbenennung in Alleanza Nationale (AN) zu einer grundlegenden Kursänderung und zur Demokratisierung der Partei. Die Estnischen Bürger (EK) und die Rumänische Unabhängigkeitspartei (PUNR) bildeten Allianzen mit demokratischen Parteien, von denen sie später aufgesogen wurden. Und in Ungarn und Schweden verdrängten neue Rechtsaußenparteien wie Jobbik und die Schwedische Demokratie (SD) die früher erfolgreichen Kräfte.

Linksaußen waren sechs Parteien in allen oder fast allen Legislaturperioden parlamentarisch vertreten: in Deutschland die PDS (jetzt Die Linke), die französische PCF, Griechenlands Kommounistikó Kómma Elládas (KKE), die Kommunistische Partei Portugals (PCP), die spanische Izquierda Unida (IU) sowie die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSČM) in Tschechien. Schwedens Kommunisten sind seit ihrer Umbenennung in Vereinigte Linkspartei (VP) und dem damit verbundenen programmatischen Kurswechsel Anfang der 1990er Jahre heute nicht mehr als linksextremistisch einzuschätzen. Italiens La Sinistra (Die Linke) scheiterte bei den letzten Wahlen 2008 an der eingeführten Vier-Prozent-Klausel und verfehlte erstmalig den Parlamentseinzug. Ähnlich erging es den Linksaußenparteien in Polen (Samoobrona) , Rumänien (PSM) und der Slowakei (KSS).

Auf parteipolitischer Ebene blieben Organisationen des ethnischen Minderheitenextremismus und religiöse Gruppierungen weitgehend bedeutungslos. Separatistische Parteien im Baskenland, in Schottland und Nordirland erzielten einzelne, regional begrenzte Wahlerfolge, aber keine im nationalen Maßstab. Ähnliches gilt für extremistische Parteien der russisch-nationalen Minderheiten im Baltikum. Beim Vergleich der Erfolge verschiedener Extremismusvarianten lassen sich vier Ländergruppen unterscheiden: 1. Staaten mit rechts- und/oder linksextremistischen Regierungsparteien, 2. Länder mit erfolgreichen linksextremistischen Parlamentsparteien ohne nennenswerten Rechtsextremismus, 3. umgekehrt Nationen mit parlamentarisch vertretenen rechtsextremistischen Parteien, denen ein eher schwach ausgeprägter Linksextremismus gegenübersteht, 4. Staaten, wo parteipolitischer Extremismus seit 1990 bedeutungslos blieb.

 

Abbildung1: Staaten nach dem Erfolg extremistischer Parteien auf nationaler Ebene seit 1990[3]

Rechtsextremismus

Linksextremismus

Staaten mit rechtsextremen

Regierungsparteien

Staaten mit rechtsextremen

Parlamentsparteien

Staaten ohne rechtsextreme Regierungs- oder Parlamentsparteien

Staaten mit linksextremen Regierungsparteien

Italien, Polen, Rumänien, Slowakei,

Frankreich

 

Staaten mit linksextremen Parlamentsparteien

 

Schweden, Tschechien

Deutschland, Griechenland, Irland, Portugal, Spanien

Staaten ohne linksextreme Regierungs- oder Parlamentsparteien

Österreich

Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Lettland, Slowenien, Ungarn

Finnland, Großbritannien, Litauen, Niederlande

 

In einem Viertel der untersuchten Staaten (Frankreich, Italien, Polen, Österreich, Rumänien und der Slowakei) kam es auf nationaler Ebene zu Regierungsbeteiligungen – in vier Fällen mit rechts- und linksextremistischen Partnern (Tabelle 1), wobei – außer in Italien – antidemokratische Parteien beider Flügel meist gleichzeitig in den Kabinetten vertreten waren. Die Verbindungen in Polen und Rumänien blieben einmalige Allianzen. In der Slowakei konnte sich dauerhaft nur die rechtsextremistische SNS behaupten, in Italien wechselten sich rechte und linke Regierungsbündnisse unter Einschluss von Antisystemparteien ab. Auch in Österreich existiert kein Konsens unter den demokratischen Parteien, extremistische Parteien zu isolieren. Die FPÖ gilt zwar (vor allem unter Linken) als rechtsextrem, dennoch kam es von 2000 bis 2007 zu von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) geführten Regierungen unter Beteiligung der Freiheitlichen. Die KPÖ wird dagegen kaum als linksextrem wahrgenommen, doch die Frage einer möglichen Regierungsbeteiligung stellte sich wegen ihrer marginalen Wahlergebnisse nicht. In Frankreich gibt es zwar ebenfalls eine erfolgreiche rechtsextremistische Partei, doch im Gegensatz zur mehrfach mitregierenden PCF ist der Front National – wie der gesamte Rechtsextremismus – politisch (weniger gesellschaftlich) isoliert.

Die Übernahme von Regierungsverantwortung durch extremistische Parteien hatte unterschiedliche Auswirkungen – für die jeweiligen Demokratien wie für den Extremismus. In Frankreich veränderte die Einbindung der PCF (zuletzt 1997 bis 2002) die Politik wenig, teilweise wegen der starken Stellung des Präsidenten im politischen System, teilweise wegen der schwachen, zum Pragmatismus gezwungenen Position der Kommunisten innerhalb der Regierung. Die Wahlergebnisse der PCF sind seitdem rückläufig. Auch die extreme Rechte in Österreich, deren Regierungsbeteiligung international stark kritisiert wurde, zeigte sich gemäßigter und betrieb kaum Anstrengungen in Richtung eines fundamentalen Wandels, wofür die FPÖ 2003 (10,0 Prozent) und 2006 (11,0 Prozent) von ihren Wählern abgestraft wurde. Wieder in der Opposition konnte die Partei ihre Ergebnisse bei den letzten Wahlen 2008 (zusammen mit der Abspaltung BZÖ 28,2 Prozent!) erheblich steigern. In Italien blieben die Positionen der extremistischen Parteien innerhalb der Regierungen schwach und ihre Forderungen ohne Durchschlagskraft. Die zunehmende Polarisierung des italienischen Parteiensystems führte aber seit den 1990er Jahren in beiden Lagern zur Entstehung neuer Parteien bzw. Allianzen, in denen extremistische Parteien – wenn auch ohne größere Machtposition – beteiligt sind und somit ihre (Anti-)Systemvorstellungen in die gesellschaftlichen Mehrheitsdiskurse einbringen können.

Im postkommunistischen Europa sieht die Bilanz anders aus: In der Slowakei (1992-1998) verhinderten, in Rumänien (1992-1996) verzögerten semidemokratische Regierungen die demokratische Konsolidierung der Länder. Während die unheilige Allianz in Bukarest nach zwei Jahren zerbrach, entstand in der Slowakei in den 1990er Jahren unter der Führung aus Populisten und Extremisten eine Art semiautoritäres Regime, das erst nach der Formierung eines breiten Bündnisses aller demokratischen Parteien abgelöst wurde. In beiden Ländern verschwanden die linksextremistischen Juniorpartner nach ihren Regierungsbeteiligungen, während die rechtsextremistischen Parteien davon wenig Schaden nahmen und in der Slowakei von 2006 bis 2010 erneut mitregieren. In Polen stellten dagegen Samoobrona und die Polnische Familienliga (LPR) ihre Regierungsunfähigkeit schon nach wenigen Monaten unter Beweis (2006-2007). Statt der angekündigten Begründung einer „Vierten Republik“ Polens kam es nach zwei Jahren Chaos zu Neuwahlen und Erdrutschniederlagen beider extremistischer Parteien.

In den meisten Staaten mit parlamentarisch erfolgreichen Linksaußenparteien ist der parteipolitische Rechtsextremismus schwach ausgeprägt. Das gilt für Deutschland, Griechenland, Irland, Portugal und Spanien, mit Abstrichen für Schweden und Tschechien, wo rechtsextremistische Parteien nur kurzzeitig reüssieren konnten. In diesen Ländern wird dem Rechtsextremismus mit einer breiten gesellschaftlichen Ablehnung begegnet, was nicht gleichermaßen für den Linksextremismus gilt und für die Erfolge solcher Parteien mitverantwortlich sein dürfte. Umgekehrt existier(t)en in Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Lettland, Slowenien und Ungarn rechtsextremistische Parlamentsparteien, die davon profitier(t)en, dass es kein nennenswertes Pendant auf der linken Seite des politischen Spektrums gibt. Auffällig sind die regionalen Unterschiede. Während in den ehemaligen Ostblockstaaten mit dem Kommunismus auch die meisten linksextremistischen Parteien untergingen, behaupten sich erfolgreiche Linksaußenkräfte vor allem in West-, speziell Südeuropa.

In vier Staaten blieb der parteipolitische Extremismus seit 1990 bedeutungslos. Im britischen Fall verhindert das Mehrheitswahlsystem die Etablierung extremistischer Parteien. In Finnland und in den Niederlanden sind erfolgreiche populistische Parteien für die Schwäche antidemokratischer Kräfte verantwortlich. Die starke Personalisierung der Politik erklärt die Marginalität extremistischer Parteien in Litauen (wie im gesamten Baltikum), wo wegen häufiger Umformierungen, Abspaltungen und Neugründungen weniger die gesamten Organisationen, sondern vielmehr nur bestimmte Personen dem politischen Extremismus zuzurechnen sind.

In keinem Staat und zu keinem Zeitpunkt konnten extremistische Parteien in Europa seit 1990 aufgrund ihrer Wahlergebnisse den Bestand der demokratischen Verfassungsstaaten gefährden. Stets hatten demokratische Parteien eine Mehrheit von über 70 Prozentpunkten gegenüber Antisystemparteien, was dennoch Kooperationen und Koalitionen mit extremistischen Kräften nicht überall verhinderte. Die besten Wahlergebnisse erzielten antidemokratische Parteien seit 1990 in Österreich und in Frankreich. Hier erreichten Antisystemparteien auf nationaler Ebene – ohne Berücksichtigung der Wahlbeteiligung – zusammen im Durchschnitt mehr als ein Fünftel der Stimmen, bei einzelnen Wahlen sogar knapp 30 Prozent (Österreich 2008: 29,2 Prozent; Frankreich 1997: 27,5 Prozent).

In Tschechien und Italien gewannen Extremisten durchschnittlich mehr als 15 Prozent, allerdings mit rückläufigen Zustimmungsraten. Während in beiden Ländern rechts- und linksextremistische Organisationen in den 1990er Jahren Erfolge erzielten, blieb in den vergangenen zehn Jahren nur die Unterstützung für jeweils eine Systemalternative konstant – in Tschechien für die kommunistische KSČM, in Italien für die Lega Nord. In weiteren Staaten (Rumänien, Slowakei, Belgien und Dänemark) erreichten extremistische Parteien zweistellige Werte, die nach dem Bedeutungsverlust des Linksextremismus in Rumänien und der Slowakei momentan fast ausschließlich von Rechtsaußenparteien erzielt werden. Polen ist ein Grenzfall, da der Medianwert (10,3 Prozent) auffällig von den Durchschnittsergebnissen (8,9 Prozent) abweicht, weil extremistische Parteien nur bei zwei Wahlen überdurchschnittlich erfolgreich waren (2001 und 2005). Ähnliches gilt für Bulgarien – wenngleich auf niedrigerem Niveau – und Schweden sowie Lettland, wo systemfeindliche Parteien nur bei jeweils einer Wahl überproportional abschnitten. In den Ländern mit erfolgeichen Linksaußen- und eher erfolglosen Rechtsaußenparteien (Deutschland, Griechenland, Portugal und Spanien) liegen die Werte antidemokratischer Parteien zwischen fünf und zehn Prozent und damit im Bereich des EU-Durchschnitts von 8,2 Prozent. In Finnland, Litauen, Großbritannien und den Niederlanden gelang es extremistischen Parteien bei keiner Wahl, insgesamt einen Stimmenanteil von mehr als einem Prozent zu gewinnen.

 

3. Organisation, Ideologie und Strategie extremistischer Parteien

Extremistische Parteien lassen sich vielfältig vergleichen und typologisieren. Die Parteienforschung unterscheidet drei wesentliche Untersuchungsfelder – Organisation, Ideologie und Strategie. Auf organisatorischer Ebene stehen sich straff hierarchisch aufgebaute Kaderparteien und breite Sammlungsparteien gegenüber. Erstere sind abgesehen von vereinzelten und regionalen Wahlerfolgen auf elektoraler Ebene weitgehend bedeutungslos. Solche Ordnungsmodelle binden zwar mitunter schlagkräftige militante Sympathisantengruppen an sich, doch für Massenanhängerschaften sind sie historisch diskreditiert und programmatisch unattraktiv. Bei allen parlamentarisch vertretenen extremistischen Parteien handelt es sich dagegen um relativ offene Bewegungen, die auf die Integration breiter Wählerschichten zielen, wenngleich (zu viele) innerparteiliche Strömungen die Geschlossenheit gefährden können, wie die Beispiele der zeitweise gespaltenen Freiheitlichen in Österreich und der Slowakischen Nationalpartei zeigen. Unerheblich für die Wahlerfolge extremistischer Parteien scheint es dagegen zu sein, ob sie eher autoritär oder pluralistisch gelenkt werden. Zwar profitierten manche Parteien von den außenwirksamen Fähigkeiten ihrer Spitzenpersönlichkeiten, doch stehen solche Führungen wegen ihrer „Betriebsblindheit“ in Krisensituationen ebenso symptomatisch für den Bedeutungsverlust rechtsextremer Formationen. Umgekehrt dient ein eher pluralistisches Machtgefüge zur Integration verschiedener ideologischer bzw. programmatischer Strömungen. Dies kann jedoch zu innerparteilichen Spannungen und Spaltungen führen.

Die unterschiedlichen Organisationsformen extremistischer Parteien stehen in einem gewissen Zusammenhang zur Struktur ihrer Ideologie. Je hermetischer diese ist, desto schwächer sind die Bindekräfte ausgeprägt, um verschiedene Strömungen beheimaten zu können. Eine weltanschauliche Utopie der angestrebten Gesellschaftsform stellt den Kern extremistischen Denkens dar. Doch mit der Gewährung innerorganisatorischer Pluralität ist häufig ein Aufweichen der ideologischen Positionen verbunden. Die Untersuchung nach weltanschaulichen Gesichtspunkten bestätigt, dass sich die meisten als Sammlungsparteien klassifizierten Organisationen kaum an ideologischen Leitbildern orientieren. Nur wenige Parteien fordern (mehr oder weniger offen) die Abschaffung der Demokratie und die Errichtung einer autoritären bzw. totalitären Diktatur nach historischem Vorbild. Inbegriff solcher Organisationen sind auf der rechten Seite die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und die italienische Movimento Sociale - Fiamma Tricolore (MS-FT). Sie orientieren sich ideologisch am Nationalsozialismus bzw. Faschismus und sind eindeutig systemfeindlich, fremdenfeindlich und antisemitistisch. Die meisten rechtsextremen Parteien in Europa bemühen sich dagegen um eine (z. T. vorgebliche) Mäßigung ihrer ideologischen Positionen. Sie lehnen die politischen Ordnungen ihrer Länder nicht pauschal ab. Nicht die Demokratie als Staatsform an sich, sondern ihre liberale Variante sei durch ein Modell autoritär-demokratischen Zuschnitts zu ersetzen (wie auch immer das in der Praxis aussehen mag). Ferner geht es ihnen weniger um Großmachtstreben und Expansionismus, sondern um die Bewahrung der eigenen nationalen und kulturellen Gesellschaftsvorstellungen. Angesichts der europäischen Integration und den Negativfolgen der Globalisierung orientieren sich die wichtigsten rechtsextremen Parteien Europas heute am Konzept des so genannten „Ethnopluralismus“. Nicht die Überlegenheit einer Rasse bzw. Ethnie wird in den Vordergrund gerückt, sondern die Verschiedenheit der Völker betont, deren kulturelle und traditionelle Besonderheiten vor äußeren Einflüssen zu schützen seien.

Ähnlich sieht es bei linksextremen Parteien aus. Wer einen revolutionären Sozialismus vertritt und die „Diktatur des Proletariats“ anstrebt, ist nach den Enthüllungen der kommunistischen Regime in Osteuropa heutzutage weitgehend diskreditiert. Parlamentarisch vertretene Linksaußenparteien versuchen, sich von dogmatisch klassenkämpferischen Positionen zu lösen. In der politischen Praxis treten sie pragmatisch kompromissbereit auf und zeigen kaum systemfeindliches Verhalten. Analog zum Konzept des Ethnopluralismus der extremen Rechten heißt die Zauberformel der linksextremen Parteien „Demokratischer Sozialismus“. Demnach sei die sozialistische (Welt-)Gesellschaft nicht länger mit revolutionären und diktatorischen Mitteln zu erreichen, sondern auf demokratischer Grundlage und durch die Förderung der sozialen Emanzipation der Bevölkerung. Wiewohl die revolutionären Bemühungen dieser Parteien ausgesprochen schwach ausgeprägt sind, stellt sich auch hier die Frage nach der Umsetzung eines solchen demokratisch sozialistischen Systems. Ein existentes Vorbild gibt es weltweit nicht, wie selbst LINKE-Fraktionschef und Parteiaushängeschild Gregor Gysi einräumen muss.

Auch auf strategischer Ebene lassen sich extremistische Parteien hinsichtlich ihres Kooperationsverhaltens unterscheiden. Um ein möglichst breites Spektrum potenzieller Anhänger (und damit Wähler) zu gewinnen, suchen sie entweder die Zusammenarbeit mit anderen extremistischen Parteien und (mitunter gewaltbereiten) außerparlamentarischen Kräften, oder sie distanzieren sich von militanten Gruppen und setzen auf die Anbindung zum demokratischen Lager. Im europäischen Rechtsextremismus zählen die meisten erfolgreichen und ideologisch gemäßigten Parteien eher zur zweiten Kategorie, z. B. die Lega Nord, der Vlaams Belang und die Dansk Folkeparti. Sie distanzieren sich von militanten Szenen im subkulturellen Rechtsextremismus. Vor allem eindeutig systemfeindliche Parteien wie die deutsche NPD und Italiens MS-FT versuchen dagegen, die inneren Reihen zu schließen. Sie verstehen sich in einer Art Querfrontstrategie als parteiförmige Vertretung des gesamten Rechtsaußenspektrums. Die ungarische Bewegung Jobbik entstand aus der sogenannten Ungarischen Garde und beheimat heute einen militanten und einen parlamentarischen Flügel, wobei die personellen Verbindungen überlappen. In manchen Fällen können auch beide Strategien zugleich angewandt werden, z. B. agiert so die slowakische SNS. Sie ist die zentrale Referenz im slowakischen Rechtsextremismus auf der Parteienebene. Durch ihre mehrfachen Regierungsbeteiligungen ist sie jedoch zugleich im demokratischen Lager akzeptiert. Der französische FN scheiterte in den 1990er Jahren an dem Versuch, Jugendliche aus militanten Subkulturen für die Partei zu gewinnen.

Das Selbstverständnis einer extremistischen Partei spielt aus strategischer Perspektive eine weitere wichtige Rolle: Verstehen sich Extremisten als Teil der demokratischen Ordnung oder als „von außen“ agierende fundamentale Systemopposition? Anders gefragt, halten sich extremistische Parteien (zumindest formal) an die demokratischen Prinzipien, oder stehen sie offen im Konflikt mit der demokratischen Rechtsordnung? Nur wenige extremistische Parteien in Europa zielen augenscheinlich auf die Abschaffung der Demokratie, noch weniger treten sie militant auf. Sie versuchen, ihren Extremismus zu verbergen und stilisieren sich zu Bewahrern der demokratischen Ordnung, welche durch innere (Minderheiten und korrupte gesellschaftliche Eliten) und äußere (Einwanderer, multinationale Unternehmen) Feinde bedroht werde. Im Gegensatz zu den meisten erfolgreichen rechtsextremistischen Parteien gibt es allerdings aus strategischen Gründen im parteiförmigen Linksextremismus kaum Berührungsängste gegenüber orthodoxen Hardlinern und militanten außerparlamentarischen Organisationen.

Da unverblümte Systemalternativen – egal welcher Couleur – in Europa weitgehend diskreditiert sind, bedienen sich fast alle extremistischen Parteien (selbst offenkundig antidemokratische Kräfte) populistischer Strategien. Dem modernisierungs- und globalisierungsbedingten gesellschaftlichen Wandel begegnen sie mit protektionistischen Abwehrstrategien. Sie verbinden (sozialen) Populismus und (nationalen) Protektionismus. Manche Linksaußenparteien neigen dabei – analog zu rechtsextremen Parteien, die sich gewisser Versatzstücke des linken Populismus bedienen – zu rechtspopulistischen und nationalistischen Positionen. Zwar bekennen sie sich ideologisch zum Marxismus-Leninismus, mixen aber in ihrer Politik kommunistische mit nationalistischen Inhalten. Vor allem linksextremistische Parteien im postkommunistischen Osteuropa, wie die tschechische KSČM und die aus den ehemaligen Einheitsparteien hervorgegangenen Parteien der russisch-nationalen Minderheiten im Baltikum, verknüpfen Antikapitalismus mit angeblichen Bedrohungsszenarien der sozialistisch-nationalen Interessen. Diskriminierende Parolen richten sich – egal ob von rechts oder links – gegen die vermeintlichen Verursacher gesellschaftlicher Krisenerscheinungen: die EU, internationale Großkonzerne und nach Expansion strebende Nachbarstaaten. Die Verbindung von rechten und linken Ideologieelementen soll einerseits die angekratzte ideologische Legitimation extremistischer Parteien aufpolieren, anderseits nicht nur im eigenen Lager, sondern vielmehr bei allen Klientelen sogenannter Modernisierungsverlierer für Stimmenzuwächse sorgen.

 

4. Extremistische Parteien in den EU-Staaten – eine Gefahr für die Demokratie?

Extremismen gefährden die demokratischen Verfassungsstaaten Europas auf vielfältige Weise, wobei die Ausprägungen und Bedrohungspotenziale von Land zu Land stark variieren. Wie der Vergleich des parteipolitischen Extremismus in den EU-Staaten verdeutlicht haben soll, unterscheiden sich antidemokratische Phänomene in ihrem Ausmaß und in ihren ideologischen Ausrichtungen sowie im Grad ihrer extremistischen Intensität (harte und weiche Extremismen). Doch lässt dies die nahe liegende Schlussfolgerung zu, umso erfolgreicher extremistische Kräfte agieren, desto größer ist auch die Gefährdung für die europäischen Demokratien?

Nicht zwangsläufig, denn die Kriterien für den Erfolg und den Intensitätsgrad des Extremismus sind nicht dieselben wie die, welche das Ausmaß der Gefährdung bestimmen. So sind Wahlergebnisse zwar wesentliche Anhaltungspunkte für die Stärke und den Einfluss extremistischer Parteien, doch nur ein Faktor unter anderen (z. B. der Aktionismus, die gesellschaftliche Verankerung oder die Einstellungen in der Bevölkerung), um die demokratischen Systeme zu unterminieren. Mehrheitsfähige Ergebnisse erreichten extremistische Parteien seit 1990 nirgends in Europa, doch erzielten sie in einigen Staaten (einzeln oder in Addition der extremistischen Antipoden) über 20 Prozent Stimmenanteile und gelangten teilweise in Regierungskoalitionen. Gerade der gewachsene Einfluss extremistischer Parteien führte jedoch in den meisten Fällen zu einer Abschwächung bzw. Aufgabe ihrer Systemablehnung. Fast alle extremistischen Parlamentsparteien zählen zu weichen Extremismusformen oder wandelten sich in diese Richtung. Und nicht selten fanden parlamentarische Vertreter extremistischer Parteien Gefallen an den Privilegien des Parlamentarierdaseins. Dadurch riskieren sie den Bruch mit ihren Anhängern, die ihnen Verrat vorwerfen, was besonders zu Tage tritt, wenn sie Regierungsverantwortung erlangen. Aus diesem Befund ergibt sich eine paradoxe Situation: Aus extremismustheoretischer Perspektive verbietet sich die Kooperation mit antidemokratischen Kräften strikt, doch gerade die Einbindung extremistischer Parteien zeigt aus normativ demokratietheoretischer Sicht eine Reihe positiver Effekte. Sie zwingt Extremisten zu Pragmatismus und Kompromissen, damit zur Milderung ihres Antisystempotenzials und entzaubert ihre teilweise populistischen Losungen, die sie nur als permanente Oppositionsparteien formulieren können.

Allerdings wäre es zu einfach, Integration als Allheilmittel extremistischer Auswüchse pauschal zu verschreiben. Trotz Mäßigungstendenzen blieben viele solcher Parteien im Kern extremistisch und nur einige vollzogen den vollständigen Wandel in Richtung Systemloyalität. Auch wenn die meisten extremistischen Parteien nicht alle Elemente der demokratischen Verfassungsstaaten beseitigen wollen, trachten sie in bestimmten Bereichen nach fundamentalen Veränderungen, seien es Forderungen für den Rechtsextremismus im Bereich der Ausländergesetzgebung oder im Linksextremismus nach Abschaffung der Marktwirtschaft. Problematisch ist, dass sie dadurch ein gewisses Maß an Reputation erlangen, was zur Aufwertung und gesellschaftlichen Verankerung des politischen Extremismus führt. Wenn extremistische Parteien weder politisch, noch öffentlich, noch medial stigmatisiert werden, nehmen sie stärkeren Einfluss auf die gesellschaftlichen Diskurse und sorgen für die Verbreitung ihrer extremistischen Einstellungen in der Bevölkerung.

Die Signale, welche von der politischen und sozialen Bedrohung des Extremismus ausgehen, sind für den Zusammenhalt der europäischen Gesellschaften doppelt schädlich: Zum einen bleiben extremistische Positionen keine Randerscheinung, wiewohl die politische Mitte in allen europäischen Staaten gefestigt genug scheint, dass es extremistischen Bestrebungen aller Art weiterhin an Mehrheitsfähigkeit fehlen wird. Doch prägen sie im Bewusstsein vieler Menschen latente antidemokratische Einstellungsmuster und Vorurteile gegenüber den demokratischen Werten. Zum anderen löst die Polarisierung der politischen Arena feindselige Reaktionen auf Seiten der jeweils anderen Extremismusvarianten aus. Das gilt nicht nur für das Verhältnis von Rechts- und Linksextremismus.

Europa am Rande autoritärer Restaurierung? Sicher nicht. In allen Staaten der Europäischen Union scheint die Zeit autokratisch-pseudodemokratischer Systemvorstellungen vorbei zu sein, gleichwohl noch immer erhebliche regionale Unterschiede in den Ausprägungen einer demokratischen politischen Kultur existieren. Extremistische Parteien – egal ob hart oder weich – besitzen kein ausreichend großes Stimmen- und Sympathisantenpotenzial, um die freiheitlich-demokratischen Ordnungen der Länder zu gefährden. Totalitäre Ideologien gehören der Vergangenheit an, die von den breiten Bevölkerungsmehrheiten in allen EU-Ländern abgelehnt werden, nicht aber – und damit zur Kehrseite der Freiheit – von extremen gewalttätigen Minderheiten. Die Gefahr durch antidemokratische Parteien liegt vor allem in der verstärkten gesellschaftlichen Polarisierung, in der Verrohung des politischen Klimas und in der Relativierung der nationalen bzw. kommunistischen Geschichtsbilder. Besonders die davon ausgesandten Impulse für die militant-gewaltbereiten Szenen stellen zwar kein politisches Problem (im Sinne der Machtübernahme), wohl aber (vielerorts) eine erhebliche gesellschaftliche Bedrohung dar. Müssen Europas Demokratien also offenbar mit legalistisch agierenden extremistischen Parteien leben, kann und darf dies für politisch motivierte Gewalt – egal aus welcher Richtung – nicht gelten. Dies ist in jeder Form inakzeptabel. Die EU und die nationalen Regierungen sind (auf)gefordert, bei deren Bekämpfung sämtliche Mittel der Rechtsstaatlichkeit auszuschöpfen.


[1] Der Beitrag stützt sich auf die Ergebnisse des vergleichend konzipierten Sammelbands Eckhard Jesse/Tom Thieme (Hrsg.): Extremismus in den EU-Staaten, VS-Verlag Wiesbaden, i.E. Nicht einbezogen werden die Kleinstaaten Luxemburg, Malta und Zypern mit weniger als einer Million Einwohner, da externe Faktoren für die Politik dieser Länder eine zentrale Rolle spielen und somit nicht vorbehaltlos für den internationalen Vergleich herangezogen werden können.

[2] Vgl. das Grundlagenwerk von Uwe Backes: Extremismus in demokratischen Verfassungsstaaten. Elemente einer normativen Rahmentheorie, Opladen 1989, S. 103.

[3] Quelle: Dieter Nohlen/Philipp Stöver (Hrsg.): Elections in Europe. A Data Handbook, Baden-Baden 2010, eigene Zusammenstellung.

Unsere Partner

Copyright © 2019 Bund Widerstand und Verfolgung (BWV-Bayern) e.V.
Alle Rechte vorbehalten.